Situationen und Ereignisse» 24h Project | Tart Gallery Zürich
2016
In der Tart Gallery wurde ein Setting eingerichtet, das die Zutrittsregeln für bestimmte Räume erfahrbar machte und ad absurdum führte. Die Thematisierung von gesellschaftlichen Schwellen und
Regelungen darüber, wer Zutritt zu welchen Räumen erhält, erlaubte eine Umkehrung und Begünstigung der vormals benachteiligenden Faktoren. Nur wer Erwerblosigkeit, Verstösse und Regelbrüche oder
andere Formen von „Abweichungen“ vorweisen konnte, wurde umsonst ins Hospiz der Faulheit eingelassen.
Darin lag die Kritik an den Bedingungen, unter denen gemeinsam Zeit verbracht werden kann, da dies in der Regel mit dem Einsatz ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals verbunden und in
vielen Kontexten durch Konsum (von materiellen und immateriellen Gütern) gekennzeichnet ist. Die daraus entstandene Hinterfragung kollektiv genutzter Räume und der Beziehungen, die darin möglich
sind, bildete die Basis für gemeinsame Überlegungen und Diskussionen, wie die Gestaltung und Organisation der gemeinschaftlichen Lebenszusammenhänge vielleicht anders möglich wäre und welche
Räume dazu geschaffen werden müssten.
«Was an dir nicht stimmt, sind deine Schulden», sagen
sie. «Du arbeitest nicht. Es gelingt dir nicht, deine Schulden gegenüber der Gesellschaft zu
begleichen. Aber du hast Entwicklungspotenzial. Wir geben dir eine Chance. Es gibt eine Therapie. Sie nennt sich Governance», sagen sie.
Sie fragen: «Du fühlst dich doch schuldig für deine Schulden? Oder etwa nicht?»
Aber wir haben uns längst entschieden nicht auf diese Weise, nicht dermassen zu partizipieren. Wir bezahlen unsere Schulden nicht und suchen stets nach Ausflüchten aus dem Imperativ der Produktion, der uns krankmachenden «Krank-Macht». Der Imperativ der Produktion besetzt unsere Körper und ermahnt uns ständig, dass wir krank sind, wenn wir uns nicht den Disziplinartechnologien der Produktivität unterwerfen. Prekarisierung und Verschuldung. Unsicherheit. Ein
disziplinärer Zwang welcher die Verbindung zwischen der Expansion von Herrschaft und der Steigerung
von Arbeitsfähigkeit und Arbeitskraft ermöglicht.
«Sei endlich vernünftig! Wir haben dir doch humanistische Werte eingebläut!», sagen sie, die aufklärerischen Moralisten.
«Humanismus? Welcher Humanismus? Der marxistische, nationalsozialistische oder stalinistische? Der
existenzialistische, evolutionäre oder gar der universale Humanismus?», fragst du dich. Genau wie
wir, lehnst du die Vorstellung von einer nicht proletarisierten Plebs ab. Das ist nur eine Strategie, um uns gegen unsere Kompliz*innen aufzuhetzen. Plebs? Prekariat? Halbwelt? Lumpen? Du
akzeptierst weder die Manipulation durch die ganzen literarischen, journalistischen, pathologo-medizinischen, soziologischen, anthropozentrischen Darstellungen, noch
bist du bereit die äusserst miserablen Bedingungen anzunehmen, die man dir mittels asymmetrischer Rechtssprechung aufzwingen will.
Auch wenn dir klar ist, dass jegliche Subjektivierung und
soziale Beziehungen stets von neuem produktiv gemacht und ausgebeutet werden, läufst du zu düsteren
Hinterzimmern über. Dort wo das prekäre Vertrauen in der Mitwisser*innenschaft um die Existenz eines sicheren Raumes oder kriminellen Aktes eine andere, unsichere Seite des Gemeinsamen zeigt. Im
gegenseitigen Schenken von Zeit und in der Schreibbewegung finden wir den Rausch des ausfransenden Gemeinsamen. Alles was darin Platz nimmt, fördert das Entstehen neuer Ströme. In unserer gemeinsamen Praxis wird deutlich, was Schreiben eigentlich sein sollte: Leben
statt Arbeit, Ekstase statt Disziplin, Umarmung statt Distanz.